Pressemitteilung

Bilanz nach 10 Jahren IGeL-Monitor: Wenig Nutzen aber viel Verunsicherung durch IGeL

55 Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) nimmt der IGeL-Monitor aktuell unter die Lupe ─ nur 2 davon schließen mit „tendenziell positiv“ ab. Viele Bewertungen entsprechen den Empfehlungen in medizinischen Leitlinien. Keine einzige Bewertung ist bislang widerlegt oder zurückgenommen worden. Versicherte werden in der ärztlichen Praxis über potenziellen Schaden und Nutzen der Selbstzahlerleistungen unzureichend aufgeklärt und fühlen sich verunsichert. Der IGeL-Monitor erweitert mit dem IGeL-Podcast sein Informationsangebot.

Die Bilanz der 55 vom Wissenschaftsteam derzeit geprüften IGeL ist nicht überzeugend: Bei den meisten überwiegt der potenzielle Schaden den möglichen Nutzen oder sie schneiden mit dem Ergebnis „unklar“ ab. Nur zwei IGeL wurden mit „tendenziell positiv“ bewertet. „Der IGeL-Monitor ist für viele Versicherte ein wichtiges Informationsangebot, damit sie eine wissensbasierte Entscheidung für oder gegen eine Selbstzahlerleistung treffen können“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund. Nach wie vor werden aber auch IGeL verkauft, die eindeutig negativ zu bewerten sind. Dazu gehört die Ultraschalluntersuchung zur Früherkennung von Eierstockkrebs. Bei dieser Leistung kann es zu vielen falsch positiven Ergebnissen und damit zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Eingriffen kommen. „Dies widerspricht den einfachsten Regeln der Patientensicherheit. Diese IGeL sollte gar nicht mehr angeboten werden“, so Gronemeyer. Von dieser Leistung raten
internationale medizinische Fachgesellschaften seit Jahren ab.

Neue Bewertung: Früherkennung auf Vitamin-B12-Mangel und Ergänzung „unklar“

Viele Praxen bieten sogenannte „Vitamin-Checks“ und „Vitamin-Kuren“ an ─ oftmals als Früherkennung von Vitamin-B12-Mangel mit anschließender Gabe dieses Vitamins. Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors hat bei einer systematischen wissenschaftlichen Recherche keine Studien gefunden, die darauf hinweisen, dass diese Leistung die Gesundheit der Betroffenen verbessert. Mögliche Schäden sind eher unwahrscheinlich; in sehr seltenen Fällen können bei der Vitamingabe mittels Injektion oder Infusion allergische Reaktionen auftreten. Daher erhielt diese Leistung die Bewertung „unklar“.

Eine wichtige Aufgabe des IGeL-Monitors ist es, ältere Bewertungen regelmäßig zu überprüfen. „Die Nutzerinnen und Nutzer müssen sich darauf verlassen können, dass unsere Informationen den aktuellen Stand des Wissens wiedergeben. Wir beobachten bei der Aktualisierung, dass sich in vielen Fällen die Evidenz meist wenig verändert und das Ergebnis daher gleich bleibt“, stellt Dr. Michaela Eikermann, Leiterin des Bereichs Evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund, fest.

Bewertungen des IGeL-Monitors stehen im Einklang mit medizinischen Leitlinien

Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors wertet bei der Analyse des Nutzen- und Schadenpotenzials nicht nur wissenschaftliche Studien aus, sondern gleicht seine Ergebnisse auch mit internationalen Leitlinien ab. Leitlinien sind evidenzbasierte Empfehlungen zu medizinischen Maßnahmen, die von den Fachgesellschaften konsentiert werden und die Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten bei der Entscheidungsfindung unterstützen sollen. „Der IGeL-Monitor konnte bei 22 Bewertungen entsprechende Leitlinien finden und hat die Empfehlungen mit der Bewertung verglichen. Mehr als drei Viertel der Bewertungen stimmten mit den Leitlinien-Empfehlungen überein. Es trifft daher nicht zu, dass unsere Bewertungen dazu in Widerspruch stehen“, fasst Eikermann zusammen.

Fragwürdiger Umgang mit IGeL in den Praxen

Immer wieder berichten Patientinnen und Patienten, dass sie in fachärztlichen Praxen für Regeluntersuchungen Wochen und Monate auf einen Termin warten müssen. Gleichzeitig bekommen sie aber von denselben Praxen einen sofort verfügbaren Termin für Selbstzahlerleistungen angeboten. Das legt die Vermutung nahe, dass das Angebot von IGeL unmittelbare Auswirkungen auf das Versorgungsangebot hat. Mit Sorge ist zudem zu beobachten, dass Versicherte sich unzureichend informiert oder zeitlich unter Druck gesetzt fühlen. Diese Erfahrungen bestätigte bereits der IGeL-Report 2020: Knapp die Hälfte der Befragten berichteten, dass die IGeL positiver als die Kassenleistungen dargestellt wurden. Und fast jeder Fünfte gab an, bei der Entscheidung für oder gegen eine Selbstzahlerleistung zeitlich unter Druck gesetzt worden zu sein.

Der IGeL-Podcast ─ ein Informationskanal rund um IGeL und Evidenzbasierte Medizin

Um sein Informationsangebot zu erweitern, hat der IGeL-Monitor am
10. März dieses Jahres den IGeL-Podcast gestartet. Mit Gästen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens werden einmal pro Monat Fragen rund um Selbstzahlerleistungen, Evidenzbasierte Medizin und Früherkennungsuntersuchungen diskutiert. Hörerinnen und Hörer können die Folgen kommentieren und neue Themen vorschlagen. Der IGeL-Podcast ist auf den üblichen Podcast-Plattformen und auf der Homepage des IGeL-Monitors zugänglich.

Hintergrund
Unter www.igel-monitor.de erhalten Versicherte evidenzbasierte Bewertungen zu sogenannten Selbstzahlerleistungen in der ärztlichen Praxis sowie viele weitere Informationen rund um das Thema. Das Portal bietet eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungshilfe für oder gegen die Inanspruchnahme von IGeL. Die Bewertungen basieren auf den Methoden der Evidenzbasierten Medizin (EbM). Für die Bewertung von Nutzen und Schaden einer IGeL recherchiert das Wissenschaftsteam in medizinischen Datenbanken und wertet diese systematisch aus. Versicherte erfahren auf dem Internetportal auch, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen bei Symptomen übernommen werden. Sie erhalten Auskunft über die Preisspanne der IGeL. Und schließlich gibt der IGeL-Monitor Tipps dazu, wie sich Versicherte verhalten können, wenn ihnen IGeL angeboten werden.

Das Internetportal wird vom Medizinischen Dienst Bund betrieben.
Der Medizinische Dienst Bund wurde zum 1. Januar 2022 als Rechtsnachfolger des Medizinischen Dienstes des
Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) errichtet.
Der MDS hat den IGeL-Monitor initiiert und 2012 ins Leben gerufen.

Pressekontakt:
Medizinischer Dienst Bund             
Pressesprecherin Michaela Gehms                           
Tel.: 0201 8327-115
Mobil: +49 (172) 3678007
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IGeL-Monitor
Andreas Lange, Freier Journalist
Redakteur IGeL- Monitor
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