Pressemitteilung

Behandlungsfehlerbegutachtung 2021: Wieder zahlreiche Never Events festgestellt

13.050 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern hat der Medizinische Dienst im Jahr 2021 erstellt. In jedem vierten Fall wurde ein Fehler bestätigt und ein Schaden festgestellt, in jedem fünften war der Fehler Ursache des erlittenen Schadens. Das geht aus der aktuellen Jahresstatistik 2021 zur Behandlungsfehlerbegutachtung hervor, die der Medizinische Dienst heute in Berlin vorgestellt hat. Um die Patientensicherheit zu verbessern, sollten schwerwiegende, aber sicher vermeidbare Ereignisse wie Seiten- oder Medikamentenverwechslungen (Never Events) verpflichtend gemeldet werden. Der Medizinische Dienst Bund begrüßt, dass sich der Patientenbeauftragte der Bundesregierung dafür einsetzt.

Im vergangenen Jahr bestätigte der Medizinische Dienst in 3.665 Fällen einen Fehler und in 3.222 Fällen einen Fehler mit Schaden. In 2.709 Fällen war der Fehler Ursache des erlittenen Schadens. „Die Dunkelziffer der Behandlungsfehler liegt deutlich über dem, was in der Begutachtungsstatistik sichtbar wird. Das ist vielfach wissenschaftlich belegt“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund. „Um die Patientensicherheit mit gezielten Maßnahmen zu verbessern, sollte eine Nationale Liste für Never Events verpflichtend eingeführt werden. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, dies auf die Agenda gesetzt hat.“

Never Events sind gut vermeidbare unerwünschte Ereignisse, die zu besonders schwerwiegenden Schäden bei Patientinnen und Patienten führen können. Dazu gehören zum Beispiel Patienten- und Seitenverwechslungen, Medikationsfehler oder zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen.

Solche Ereignisse sind selten ─ sie tauchen aber jedes Jahr in der Begutachtungsstatistik auf (2021: 130 Fälle; 2020: 120 Fälle). Diese Ereignisse sind für das Erkennen von Risiken sowie für das Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen von großer Bedeutung. Denn sie zeigen, wo Risiken im Versorgungsprozess bestehen und welche Sicherheitsvorkehrungen unzureichend sind. Die Meldung solcher Ereignisse werden in anderen Ländern bereits für die Prävention erfolgreich genutzt. Dies sollte auch in Deutschland umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Ereignisse vertraulich, anonym und losgelöst von haftungsrechtlichen Konsequenzen erfolgen. Sie dürfen nur der Verbesserung der Patientensicherheit dienen.

Fehler in vielen Fachgebieten und bei unterschiedlichsten Eingriffen

Zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe der aktuellen Jahresstatistik  bezogen sich auf Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (8.690 Fälle). Ein Drittel bezog sich auf Arztpraxen (4.339 Fälle). „Hintergrund dieser Verteilung ist, dass sich die meisten Vorwürfe auf operative Eingriffe beziehen, und diese erfolgen zumeist in der stationären Versorgung“, erläutert Prof. Dr. med. Astrid Zobel, Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern.

30 Prozent aller Vorwürfe (3.909 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie, rund 12 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.608 Fälle), jeweils knapp 9 Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.133 Fälle) sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.130 Fälle). 8 Prozent entfielen auf die Zahnmedizin (1.081 Fälle) und knapp 6 Prozent auf die Pflege (750 Fälle). Über 26 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf 29 weitere Fachgebiete.

In der Jahresstatistik 2021 sind 13.050 Verdachtsfälle zu insgesamt 1.006 unterschiedlichen Diagnosen erfasst. Die Vorwürfe reichen von fehlerhaften Knie- und Hüftgelenksimplantationen über die Therapie von Knochenbrüchen, Durchblutungsstörungen am Herzen bis hin zu Gallensteinen und Zahnerkrankungen.

Die Zahlen sind nicht repräsentativ ─ sie zeigen lediglich die Begutachtungszahlen und -ergebnisse des Medizinischen Dienstes. „Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sagt nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus“, erklärt Zobel. „Häufungen zeigen, dass Patientinnen und Patienten reagieren, wenn eine Behandlung nicht ihren Erwartungen entspricht.“ Fehler bei chirurgischen Eingriffen sind für die Patienten dabei leichter zu erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler.

Zwei Drittel der Schäden sind vorübergehend

Bei knapp zwei Drittel (65,2 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patientinnen und Patienten vorübergehend. Das bedeutet, eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt war notwendig. Die Patienten sind jedoch vollständig genesen. Bei knapp einem Drittel der Betroffenen wurde ein Dauerschaden verursacht.

Man unterscheidet zwischen leichten, mittleren und schweren Schäden. Ein leichter Dauerschaden kann zum Beispiel eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion bedeuten. Ein schwerer Dauerschaden kann vorliegen, wenn Geschädigte bettlägerig und aufwendig pflegebedürftig geworden sind ─ wenn sie aufgrund eines Fehlers erblinden oder querschnittsgelähmt sind. In knapp 4 Prozent der Fälle (98) hat ein Fehler zum Versterben geführt oder wesentlich dazu beigetragen.

Hintergrund

Spezielle Teams des Medizinischen Dienstes begutachten Vorwürfe von Behandlungsfehlern im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Die Gutachterinnen und Gutachter gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und mit aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den Versicherte erlitten haben, durch den Fehler verursacht worden ist. Nur dann sind Schadensersatzforderungen aussichtsreich. Auf der Basis des Sachverständigengutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Den Versicherten entstehen durch die Begutachtung keine Kosten.

Hinweis zu Infografiken:

Die Infografiken unten können im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Jahresstatistik 2021 der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste mit dem Quellenhinweis „Medizinischer Dienst“ verwendet werden. Versionen in Druckqualität senden wir Ihnen auf Anfrage an e.gruenhagen@md-bund.de gerne zu.

Infografiken zum Thema

Begutachtung der 13.050 vorgeworfenen Fälle

Bei der Begutachtung prüfen die Gutachterinnen und Gutachter, ob ein Fehler vorliegt, der einen Schaden verursacht hat. Drei Aspekte sind von zentraler Bedeutung. Erstens: Gibt es einen Fehler? Zweitens: Gibt es einen Schaden? Und drittens: Besteht eine Kausalität zwischen Fehler und Schaden? Im Jahr 2021 haben die Medizinischen Dienste 13.050 Fälle von Behandlungsfehlervorwürfen begutachtet. In 3.665 Fällen wurde ein Fehler nachgewiesen, in 3.222 Fällen ein Schaden. Und in 2.709 Fällen wurde bestätigt, dass der Fehler den Schaden verursacht hat (Kausalität).

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Gutachterliche Ergebnisse zu 13.050 vorgeworfenen Fällen

Die Medizinischen Dienste haben 13.050 Behandlungsfehlervorwürfe begutachtet. In 71,9 % der Fälle lag kein Behandlungsfehler vor. Bei 3,4 % der Fälle gab es zwar einen Fehler, aber keinen Schaden. In 24,7 % der Fälle gab es einen Behandlungsfehler und einen Schaden. Bei 20,8 % war der Behandlungsfehler die Ursache für den Schaden (Kausalität). Bei 1,0 % bestand keine Kausalität. In 2,9 % der Fälle war die Kausalität zwischen Fehler und Schaden unklar.

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Anzahl jährlich begutachteter Fälle

In den Jahren 2007 bis 2009 haben die Medizinischen Dienste jährlich zwischen 10.000 und 11.000 Fälle von Behandlungsfehlervorwürfen begutachtet. In den folgenden 3 Jahren stieg diese Zahl auf jährlich mehr als 12.000 Fälle. Einen deutlichen Anstieg gab es nochmals ab 2013 mit jährlich über 14.000 Begutachtungen, unterbrochen im Jahr 2017 mit 13.500 Fällen. Im Jahr 2021 lag die Zahl der begutachteten Fälle bei 13.050.

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Verteilung der Vorwürfe auf Fachgebiete

Bei der Verteilung der Behandlungsfehlervorwürfe auf die Fachgebiete hatten Orthopädie und Unfallchirurgie den größten Anteil mit 30,0 % aller Vorwürfe bzw. 3.909 Fälle. Bei 27,3 % dieser Fälle wurde ein Fehler festgestellt.

12,3 % der Vorwürfe bzw. 1.608 Fälle bezogen sich auf den Bereich Innere Medizin und Allgemeinmedizin. Bei 23,8 % dieser Fälle wurde ein Fehler festgestellt.

8,7 % der Vorwürfe bzw. 1.133 Fälle bezogen sich auf die Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Bei 25,5 % dieser Fälle wurde ein Fehler festgestellt.

Ebenfalls 8,7 % der Vorwürfe bzw. 1.130 Fälle bezogen sich auf die Allgemein- und Viszeralchirurgie. Bei 22,3 % dieser Fälle wurde ein Fehler festgestellt.

8,3 % der Vorwürfe bzw. 1.081 Fälle bezogen sich auf den Bereich Zahnmedizin, inklusive Oralchirurgie und Kieferorthopädie. Bei 34,0 % dieser Fälle wurde ein Fehler festgestellt.

5,7 % der Vorwürfe bzw. 750 Fälle bezogen sich auf Pflege. Bei 61,2 % dieser Fälle wurde ein Fehler festgestellt.

26,4 % der Vorwürfe bzw. 3.439 Fälle bezogen sich auf insgesamt 29 weitere Fachgebiete. Bei 24,6 % dieser Fälle wurde ein Fehler festgestellt.

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Ihre Ansprechpartnerin

Michaela Gehms

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